Immer mehr Menschen in Europa pendeln täglich in ein Nachbarland an ihren Arbeitsplatz. Die wachsende Arbeitskräftemobilität lässt sich aber nicht nur ökonomisch erklären, sondern erfordert eine multiperspektivische Betrachtung. Diese wird in dem gerade erschienenen Buch anhand von Fallstudien in europäischen Grenzregionen umgesetzt. Deutlich wird, dass die Grenzgänger:innenbeschäftigung als Forschungsgegenstand ein großes Potential für grenzregionale Entwicklungsprozesse bietet.
In der Großregion SaarLorLux überqueren täglich mehr als 240.000 Beschäftigte eine nationale Grenze auf dem Weg an ihren Arbeitsplatz. Diese Grenzgängerströme sind einzigartig in Europa. Während vor allem Franzosen und Belgier im benachbarten Ausland arbeiten, machen auch immer mehr Deutsche den Sprung über die Grenze. Zwei Regionen sind dabei von zentraler Bedeutung: Lothringen mit über 100.000 Auspendlern und Luxemburg, wo fast drei Viertel aller Grenzgänger Großregion SaarLorLux arbeiten. Aktuell (2018) stellen die 190.000 Grenzgänger im Großherzogtum etwa die Hälfte der dort Beschäftigten – 1980 lag ihr Anteil noch bei 9 Prozent. Dieser Entwicklung hat zu einer diversifizierten Arbeitswelt geführt, in der unterschiedliche Berufsausbildungen, Sprachen und Arbeitsweisen aufeinander treffen.
Inwiefern sind Grenzgänger im Arbeitsland integriert? Diese Frage wird im Alltagsdiskurs in Luxemburg häufig aufgeworfen verbunden mit der Meinung, Grenzgänger sollten auch außerhalb des Jobs Zeit im Großherzogtum verbringen. C. Wille beleuchtet die Frage mit einer rezenten Studie, ergänzt sie um den Aspekt der Arbeitnehmermitbestimmung und gelangt zu ernüchternden Ergebnissen.
Die Schweiz ist ein Hotspot für Grenzgänger. Eine umfassende Analyse des Phänomens muss allerdings über sozioökonomische Betrachtungen des Arbeitsmarkts hinausgehen und seine vielfältigen Mobilitätstypen berücksichtigen. Im Projekt „Zur Situation der Grenzgänger in der Schweiz“ untersuchen Wissenschaftler der Universitäten Basel, Luxemburg und Genf das Phänomen in transnationaler und soziokultureller Perspektive.
Ob die Pendlerbewegungen in der Großregion SaarLorLux eine fortgeschrittene Integration anzeigen oder ob sie eher für sozioökonomische Ungleichgewichte zwischen den Teilgebieten stehen, diskutiert C. Wille in seinem jüngsten Beitrag. Dafür werden zentrale Entwicklungen des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts rekonstruiert und arbeitsmarktpolitischen Visionen gegenübergestellt.
Das grenzüberschreitende Pendeln über nationale Grenzen wurde mit dem Europäischen Einigungsprozess spürbar erleichtert. In diesem Zuge wurde auch der sozial- und steuerrechtliche Status der Grenzgänger definiert. Diese Definition unterscheidet aber nicht zwischen Grenzgängern, die aus ihrer ‚angestammten Region’ ins benachbarte Ausland pendeln und solchen, die aus dem benachbarten Ausland in die ‚angestammte Region’ an ihren Arbeitsplatz kommen. Jedoch gewinnt das letztere sogenannte atypische Grenzgängerwesen in der Großregion SaarLorLux zunehmend an Bedeutung.
Täglich pendeln 200.000 Grenzgänger aus Deutschland, Frankreich oder Belgien in das dreisprachige Luxemburg ein, womit sich vielfältige sprachliche und kulturelle Konstellationen der Zusammenarbeit ergeben. Diese wurden in einer Studie dahingehend befragt, wie Mehrsprachigkeit und Interkulturalität von Grenzgängern erlebt und bewältigt wird. Die Ergebnisse wurden aus Interviews, Interaktionsanalysen und schriftlichen Befragungen gewonnen.
Wer sind die Grenzgänger? Diese Frage interessiert nicht nur, weil die Großregion heute außergewöhnlich viele Pendler zählt, ebenso scheint der Begriff in Mode gekommen zu sein. ‚Grenzgänger’ ist eine moderne Wortschöpfung, die auf sprachliche Vorläufer wie „Gehen über eine Grenze“ oder „Grenzgang“ zurückgeht. Zumeist werden nationalstaatliche Grenzen stillschweigend vorausgesetzt – der kollektive Sprachgebrauch zeichnet aber ein vielfältigeres Bild.
Grenzgänger leben und arbeiten in zwei Ländern und werden oft als Vorzeigeeuropäer gehandelt. Damit verbunden ist die Annahme, Grenzgänger hätten eine grenzüberschreitende Identität. Grenzgänger fühlen sich in der Tat europäisch und besitzen ein Bewusstsein für die Großregion SaarLorLux. Die größte Zugehörigkeit aber empfinden sie gegenüber ihrer Wohnregion und ihrem Wohnland. Zwei zentrale Gründe für das nur relative Zugehörigkeitsempfinden zur Großregion und zur Arbeitsregion sind: Zum einen der politische Charakter der Großregion, womit der Begriff für viele Bewohner alltagsfern bleibt und wenig Identifikationsfläche bietet. Zum anderen das verbreitete Beibehalten des Lebensmittelpunkts in der Wohnregion. Grenzgänger, deren Privatleben auch in der Arbeitsregion stattfindet, sind zumeist jünger und ohne familiäre Verpflichtungen.