Grenzen stehen wieder verstärkt im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Ihr Wiedererstarken manifestiert sich allerdings in einer paradoxen Weise: Während Grenzmauern errichtet und Grenzanlagen ausgebaut werden, finden Regulations- und Kontrollpraktiken zunehmend transterritorial und unsichtbar statt. Diese Entwicklungen verweisen auf die Notwendigkeit, den Grenzbegriff zu überdenken. Dafür werden ausgewählte Zugänge überblicksartig vorgestellt.
Welche Geographien der Grenzen können im Spiegel von Grenz(de)stabilisierungen rekonstruiert werden? Damit setzen sich die Autor*innen des soeben erschienenen Bands auseinander und untersuchen Grenzen in ihren (Re-)Produktionsprozessen. Die 18 Beiträge reichen von Fragen der Energie, Kooperation, Identität über Covid-19 bis hin zu Urbanisierungsprozessen im ländlichen Raum.
Territoriale Grenzen und soziale Grenzziehungsprozesse gewinnen im Zuge der Covid-19-Pandemie eine zum Teil dramatische Relevanz. Zugleich sind aber auch – und insbesondere in Grenzregionen – neue Allianzen und Solidaritäten zu beobachten. Dieser Beitrag leistet keine elaborierte Analyse, sondern versteht sich als eine kritische Kommentierung von Grenz(raum)dynamiken in Zeiten der globalen Corona-Pandemie.
Das von C. Wille und B. Nienaber herausgegebene Buch „Border Experiences in Europe“ macht eine Perspektive stark, die sich für die alltagskulturelle Erfahrung von Grenzen interessiert. Die 17 Autor_innen adressieren Grenzerfahrungen im Kontext von Migration, Mobilität und Mehrsprachigkeit und geben Einblicke in Lebenswirklichkeiten in Europa, in denen Grenzen relevant (gemacht) werden.
Mit ‚Phantomgrenzen’ wird das Zusammenspiel von durchlässigen nationalen Grenzen und fortbestehenden sozialen Grenzziehungen bezeichnet. Fünf Wissenschaftler haben dieses Phänomen anhand der Wohnmigration aus Luxemburg in den deutschen Grenzraum untersucht. Sie rekonstruieren den Zusammenhang zwischen Differenzmarkierungen und nationalen Grenzen im Zusammenleben von Zugezogenen und Einheimischen.
Grenzen als Räume zu thematisieren liegt nahe, erweist sich die Linienmetapher doch rasch als Fiktion. Noch bis ins 18. Jh. waren Grenzen als (umkämpfte) Übergangszonen konzipiert, erst mit dem Entstehen von Nationalstaaten etablierte sich die Vorstellung der Grenze als Linie, ohne dass sie empirisch ihren zonalen Charakter eingebüßt hätte. Dies wird besonders in Grenzregionen einsichtig, wo Staatsgrenzen nicht auf ihre Differenzierungsfunktion reduziert werden können, sondern sich ausdehnen und in Kontaktzonen transformieren.
Im jüngsten Beitrag von Christian Wille werden die in der Großregion SaarLorLux am häufigsten grenzüberschreitend ausgeführten Alltagspraktiken untersucht. Dazu zählen das Einkaufen, Shoppen, Erholen, Besuchen von Veranstaltungen sowie von Freunden und Familie. Die Ergebnisse werden rückgebunden an die Überlegung, inwiefern Alltagsmobilitäten auf grenzüberschreitende Lebenswirklichkeiten hindeuten und konstitutiv sind für den grenzüberschreitenden Raum. Der Beitrag ist im August 2015 erschienen.
Mit dem Buch „Grenzen überwinden durch Kultur?“ legt Monika Sonntag einen bemerkenswerten Beitrag für die Identitätsforschung in Grenzregionen vor. Die Autorin nimmt einen weit gefassten Grenzbegriff zum Ausgangspunkt und untersucht das Zusammenspiel von territorialen und sozialen Differenzierungen in der grenzüberschreitenden kulturellen Kooperation. Christian Wille hat das Buch rezensiert und hält fest: eine beispielhafte Operationalisierung von Doing Identity.