Border Complexities and Logics of Dis/Order
Der Open Access-Band beschäftigt sich mit dem noch jungen Trend, Grenzen als komplexe Phänomene zu betrachten und zu untersuchen. Obwohl der Trend schon in den 2010er Jahren einsetzte, wurde das Verhältnis von Komplexität und Grenzen noch nicht ausführlich diskutiert. In der aktuellen Debatte kursieren vielmehr ein diffuses Komplexitätsverständnis und unterschiedliche Auffassungen darüber, was an Grenzen komplex sei. Hier setzt der interdisziplinäre Band an, indem Komplexität näher bestimmt, methodologisch-analytische Überlegungen vorgestellt und Border Complexities in empirischen Fallstudien untersucht werden.
”With its elaborations on the complexity of borders, the book provides a significant contribution to the theoretical and conceptual development of border studies [...]. The use of complexity theory in border studies is something really new and seems to be very fruitful and applicable for further research.Isabel Hilpert in Space and Polity (2024, online first, DOI: 10.1080/13562576.2024.2377089)
Die 13 Autor:innen entwickeln Perspektiven für eine komplexitätsorientierte Grenzforschung und zeigen, wie Grenzen als wirkmächtige Un/Ordnungen entstehen und funktionieren.
”Yet the added value of the work is undeniable. Despite major theoretical and methodological advances in border studies in recent years [...], an elaborated meta-reflection on the performativity of the interaction of individual facets of borders has been missing. With the concept of Border Complexities, the book aims to address this gap. And it turns out that complexity theory and border studies are a perfect match.Isabel Hilpert in Space and Polity (2024, online first, DOI: 10.1080/13562576.2024.2377089)
Autor:innen
Falk Bretschneider, Cécile Chamayou-Kuhn, Ulla Connor, Norbert Cyrus, Astrid M. Fellner, Dominik Gerst, Henk van Houtum, Guillaume Javourez, Rodrigo Bueno Lacy, Daniel Lambach, Carolin Leutloff-Grandits, Islam Rachi und Christian Wille
Dynamics of Dis/Order in Border Complexities
Carolin Leutloff-Grandits and Christian Wille
Border Complexities. Outlines and Perspectives of a Complexity Shift in Border Studies
Christian Wille
Insights from Complexity Thinking for Border Studies: The State Border as Emergent Property of International Relations Systems
Norbert Cyrus
Seeing Like a Complex Border: On the Methodology of Complexity-Oriented Border Research
Dominik Gerst
Situated Bordering: Developing Border Complexities from a Praxeological Research Perspective
Ulla Connor
Contre parallèles et méridiens : Bordertexturing – la complexité de la frontière entre le Canada et les États-Unis
Astrid M. Fellner
Border complexities à l’exemple du roman Der falsche Inder de l’auteur Abbas Khider. Loi, frontières et logiques de « dés-ordre »
Cécile Chamayou-Kuhn
The Borders of Banishment. Liminality and Penal Practice in the Early Modern Holy Roman Empire
Falk Bretschneider
Shifting B/Orders: Europeanization and Cross-Border Practices Between North Macedonia and Greece
Guillaume Javourez
EUrope’s Border Dis/Order: The Autoimmunity of a Deadly B/Ordering Regime
Henk van Houtum and Rodrigo Bueno Lacy
A Land of Wolves: The Rise of Legal Anomie in Administering Expedited Removals of Illegal Aliens in the United States
Islam Rachi
B/Ordering the State in Cyberspace
Daniel Lambach
Herr Wille, mit Carolin Leutloff-Grandits und anderen Kolleg:innen haben Sie ein Buch zu Grenzkomplexitäten und Un/Ordnungen herausgegeben. Was erwartet die Lesenden?
Insgesamt sind wir fünf Forschende aus Luxemburg, Deutschland und Frankreich, die diesen ersten von insgesamt zwei Bänden herausgeben. Das Buch ist der Versuch, einen noch jungen Trend im interdisziplinären Nachdenken und Untersuchen von Grenzen zu fundieren. Die Lesenden erwartet daher eine theoretisch-konzeptionelle, aber auch empirische Auseinandersetzung mit Grenzen, die wir zu dem erweitern, was wir als Border Complexities bezeichnen.
Was verstehen Sie unter komplexitätsorientierter Grenzforschung?
In der Grenzforschung wird schon seit einigen Jahren unermüdlich konstatiert, dass Grenzen komplex seien. Was damit aber genau gemeint ist und welche forschungspraktischen Konsequenzen damit verbunden sind, dazu äußern sich Grenzforschende kaum. Hier setzt das Buch an und stellt dem inflationären Gebrauch des Komplexitätsbegriffs fundierte Ideen entgegen. Zum einen betonen wir, dass Grenzen nicht per se komplexe Gebilde sind, sondern die Komplexitätsorientierung eine spezifische und durchaus gewinnbringende Art ihrer wissenschaftlichen Betrachtung ist. Zum anderen legen wir das Grundprinzip der Grenze an – nämlich die Welt zu ordnen – und verknüpfen es mit dem Komplexitätsdenken. Hier ist für uns die Idee leitend, dass eine Grenze mehr ist als die Summe ihrer Teile – oder analytisch gedacht: dass eine Grenze nicht über ihre Teile erklärt werden kann, sondern über das Zusammenspiel ihrer Teile.
Und was bedeutet das nun mit Blick auf Grenzforschung?
Wir bauen auf den progressiven Trends aktueller Forschung auf, die Grenzen als wirkmächtige Gefüge aus Diskursen, Praktiken, Objekten, Körpern, Wissen usw. verstehen. Während solche Elemente bisher eher isoliert voneinander untersucht wurden, betont die Komplexitätsorientierung das Zusammenspiel dieser Elemente und Dimensionen. Wir bezeichnen es als komplex, weil aus ihm Un/Ordnungen und damit Grenz(ziehung)en hervorgehen, die als emergente Eigenschaften komplexer Gefüge zu betrachten sind. Für diese besondere Sicht auf Grenzen operieren wir mit Border Complexities – ein Konzept, das Grenzen als relationale Gefüge versteht und auf das Zusammenwirken ihrer Elemente sowie die daraus resultierenden Un/Ordnungen und Borderings fokussiert.
Das klingt alles sehr abstrakt. Wie haben Sie denn Mitstreiter:innen für das Buchprojekt gewonnen?
Gerade weil es in der Wissenschaft immer unüblicher wird, angemessene Ressourcen für die theoretisch-konzeptionelle Reflexion bereitzustellen, empfehlen wir unser Buch zur Lektüre. Darin finden sich auch Fallstudien, die das Entstehen und die Wirkmächtigkeiten von Un/Ordnungen zum Beispiel in europäischen Grenzregionen oder im EU- und US-Migrationsregime rekonstruieren. Wir danken den 13 Autor:innen, dass sie sich auf das Buchprojekt eingelassen haben, mit ihnen arbeiten wir zum Teil schon seit 2019 zusammen. Sie waren an dem internationalen Kooperationsprojekt „Border Complexities“ beteiligt, in dem dieses Buch entstanden ist. Der Band – wie auch der bald nachfolgende – bündeln die Projektergebnisse und leisten damit einen fundierten Beitrag zum rezenten Complexity Shift in der Grenzforschung.