Erinnerungsorte in Luxemburg
Sie haben mit Pit Péporté das zweisprachige Buch „Lieux de mémoire – Erinnerungsorte in Luxemburg 2“ veröffentlicht. Was ist unter einem „Erinnerungsort“ zu verstehen?
Wichtig scheint mir die Unterscheidung zwischen dem geographisch-physischen Ort, an dem erinnert wird und dem historischen oder literarischen Topos – also ein Ort im übertragenen Sinn –, an den erinnert wird. Der erste wäre ein Gedenkort, letzteres ist ein Erinnerungsort. So werden zum Beispiel Personen, Ereignisse und Symbole zu Erinnerungsorten, wenn mit Hilfe von verschiedenen Medien, wie etwa mit Monumenten, Texten, Zeremonien usw. an sie erinnert wird. Die Art und Weise der Erinnerung verändert sich mit dem historischen Zeitpunkt und mit der Gruppe, in deren Namen erinnert wird.
Sie haben nun schon den zweiten Band zu dem Thema vorgelegt. Was ist daran neu?
Neu ist, dass nicht nur nationale Erinnerungsorte untersucht werden. Also nicht nur solche, die als gemeinsame Bezugspunkte der nationalen „vorgestellten Gemeinschaft“ eingesetzt werden. Der zweite Band beleuchtet zwar auch diese nationalen Rahmungen, aber eben nur als eine von vielen möglichen – neben bspw. auch transnationalen Sichtweisen. Ihre Interpretation kann sogar im Gegensatz stehen zur lokalen Auslegung des gleichen Erinnerungsortes oder zu dem, was eine Subkultur darin erkennt.
In dem Band werden ganz unterschiedliche Erinnerungsorte rekonstruiert. Können Sie einen kurzen Überblick geben?
Ein erschöpfender Überblick ist unmöglich, da es sich bei dem Buch nicht um ein systematisches Abgrasen von Erinnerungsorten handelt. Es werden bekannte historische Figuren, Künstler, Wissenschaftler oder Personengruppen beleuchtet, wie zum Beispiel die „Bauern“ (Sarah Lippert und Myriam Sunnen) – wobei es in den Artikeln aber nicht um ihre Verdienste geht, sondern darum, was in ihnen gesehen wurde und wird. Alle geographischen Orte haben sehr spannende und vielschichtige Erinnerungsgeschichten – ihre Auswahl war sehr schwierig. Wir haben uns schließlich bewusst auf solche beschränkt, die auch überregional bekannt sind, wie etwa „Cattenom“ (Nadine Besch) oder „Schengen“ (Carol Bergami). Der Zweite Weltkrieg bietet eine Vielzahl von transnationalen Erinnerungsorten, hier haben wir uns für das KZ Hinzert (Yves Steichen) und das KZ Ravensbrück (Susan Hogervorst) entschieden.
Über 40 AutorInnen waren an dem Band beteiligt. Abgesehen von dem enormen Betreuungsaufwand, wie konnten Sie so viele BeiträgerInnen für das Thema gewinnen?
Die Arbeit zum zweiten Band begann mit einem Treffen der AutorInnen, die bereits am ersten Band beteiligt waren, und weiteren Interessierten aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Das erste Brainstorming führte zu einer Liste von Themen, erst einmal unabhängig von potentiellen AutorInnen. In einem zweiten Schritt sprachen wir mit Personen, die zu den jeweiligen Themen schon publiziert hatten, da uns klar war, dass das Thema selbst beherrscht werden muss, bevor man sich mit der Erinnerungsgeschichte auseinandersetzt. Für einige Themen, die uns unabdingbar schienen, haben wir händeringend nach AutorInnen gesucht, andere aber wurden uns von AutorInnen selbst vorgeschlagen. Besonders froh bin ich darüber, dass es gelungen ist den Kreis der ForscherInnen, die an die Universität Luxemburg angebunden sind, aufzubrechen und auch andere KollegInnen mit ins Boot zu holen.
Sie machen derzeit eine kulturwissenschaftliche Studie über den Ort der Tankstelle. Können Tankstellen auch als Erinnerungsorte untersucht werden?
Ich glaube, es gibt keine spezifische Gruppe, die an Tankstellen erinnert. Also fehlen hier die Erinnerungsträger als ein wichtiger Bestandteil der Analyse von Erinnerungsorten. Aber die Tankstelle ist sicher ein symbolischer Ort, der in Luxemburg die Grenze markiert – von „border patrol“ zu „border petrol“ sozusagen – und gemeinsam mit Agnès Prüm untersuche ich, wie Tankstellen filmisch als „Zwischenort“ dargestellt werden: zwischen Banalität und Entsetzen, zwischen Leben und Tod, zwischen Flüssigkeit und Explosion.
Biographische Notiz
Sonja Kmec hat an den Universitäten Paris IV-Sorbonne, Durham und Oxford Geschichte studiert und 2004 promoviert. Seitdem arbeitet sie an der Universität Luxemburg, seit 2010 als Professorin in Luxemburgistik und Geschichte. Ihre Publikationen umfassen „Across the Channel. Noblewomen in Seventeenth Century France and England“ (2010), „Lieux de mémoire au Luxembourg / Erinnerungsorte in Luxemburg 2“ (2007-2012) und “Inventing Luxembourg. Representations of the Past, Space and Language from the Nineteenth to the Twenty-first Century” (2010).
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