Großregion SaarLorLux - ein grenzüberschreitender Medienraum?
Herr Vatter, Sie haben mit Vincent Goulet ein Buch über grenzüberschreitende Informationsflüsse und Medienlandschaften herausgegeben. Was macht das Thema in der Großregion besonders spannend?
Die Großregion ist zunächst ein Konstrukt, das für die Identität der meisten Bewohner und ihre alltägliche Lebenswelt nur eine geringe Bedeutung zu haben scheint. Die Medien und vor allem die grenzüberschreitende Medienberichterstattung spielen eine zentrale Rolle, damit die Menschen sich als Teil eines solchen grenzüberschreitenden kulturellen Raums wahrnehmen können und die Großregion so vielleicht auch Teil einer gelebten Identität werden kann.
In dem Buch kommen zehn Autoren aus Deutschland, Frankreich und Luxemburg zu Wort. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Wir präsentieren in dem Buch die Ergebnisse des Projekts Infotransfront – ein Forschungsverbund, der von Vincent Goulet am Centre de recherche sur les médiations (CREM) an der Universität Metz initiiert wurde. Die beteiligten Autoren sind alle an diesem Forschungszentrum beteiligt und kennen daher die Region und die Medienlandschaft in SaarLorLux sehr gut. Über mehr als drei Jahre haben wir uns immer wieder getroffen und gemeinsam am Thema des Buchs gearbeitet.
Die Buchbeiträge beschäftigen sich neben Printmedien mit digitalen Medien, Mediennutzungen bis hin zu journalistischen Praktiken. Welche Forschungsergebnisse haben Sie besonders überrascht?
Unerwartet war, dass sich die nationalen Grenzen noch immer als sehr große Hürden für die Medien in der Großregion erweisen. Selbst Informationen über Ereignisse nur wenige Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Grenze finden häufig nur über Paris oder Berlin den Weg zurück in die regionalen Zeitungen im Nachbarland, wie zum Beispiel in die Saarbrücker Zeitung oder in den Républicain lorrain. Auch die Art und Weise, wie Journalisten und Redaktionen arbeiten, unterscheiden sich stark und erschweren die grenzüberschreitende Berichterstattung. Besonders überraschend war auch, dass sich bei einem sozialen Medium wie Twitter nur wenig interregionaler Austausch feststellen lässt. Hier ist anscheinend vor allem die Sprache immer noch ein Hindernis.
Sie schreiben, es ließe sich ansatzweise eine Großregionalisierung von medialen Öffentlichkeiten erkennen. Wie ist das zu verstehen?
In jüngerer Vergangenheit zeichnet sich ab, dass in den verschiedenen regionalen Medien die Großregion zunehmend Thema ist bzw. Themen auch grenzüberschreitend oder „großregional“ gedacht werden – selbst die Wetterkarte im deutschen Regionalfernsehen reicht nun über die Grenzen des Saarlandes hinaus. Die Menschen nehmen also mehr Notiz über ihre jeweiligen Medien, so dass man von einer gewissen „Großregionalisierung“ der medialen Öffentlichkeiten sprechen kann. Allerdings gibt es kaum gemeinsame Medien, die in allen Teilregionen konsumiert werden. Von einer geteilten transregionalen Öffentlichkeit mit gemeinsamen Medien kann also eher nicht gesprochen werden.
Ihre Einschätzung: Wird sich die Großregion zukünftig zu einem wahrhaften grenzüberschreitenden Informations- und Medienraum entwickeln?
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass dies eher schwierig ist. Kulturelle Unterschiede, mangelnde Fremdsprachenkenntnisse und nationale Gewohnheiten in Journalismus wie Mediennutzung stellen immer noch hohe Hürden dar. Außerdem ist die Großregion politisch relativ schwach, was sich auch auf die Medien auswirkt. Man muss sehen, inwiefern die französische Gebietsreform 2016 sich als Hindernis für die weitere Integration erweist oder ob sie vielleicht auch als Chance für die Region begriffen werden kann. Es gibt allerdings auch positive Anzeichen, wie zum Beispiel – trotz aller Kritik – die saarländische „Frankreichstrategie“ und die „Deutschlandstrategie“ in Lothringen oder Luxemburger Medien, die sich auch auf Grenzgänger als Leser einstellen.
Biographische Notiz
Vincent Goulet (Dr.) ist Soziologe und war Dozent an der Université de Lorraine. Von 2010 bis 2014 leitete er das Lehr- und Forschungsprogramm Infotransfront über den Nachrichtenaustausch in der Großregion SaarLorLux. Aktuell forscht er zum grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt in der Oberrheinregion.
Christoph Vatter (Dr.) ist Juniorprofessor für interkulturelle Kommunikation in der Fachrichtung Romanistik der Universität des Saarlandes. Er ist Mitglied des internationalen DFG-Graduiertenkollegs Diversity: Mediating difference in transcultural spaces und assoziiertes Mitglied des Centre de recherche sur les médiations (CREM). Von 2010 bis 2014 war er mitverantwortlich für das Lehr- und Forschungsprogramm Infotransfront.
Kontakt
Vincent Goulet: vgoulet(at)unistra.fr und Webseite
Christoph Vatter: c.vatter(at)mx.uni-saarland.de und Webseite