2023

In der Grenzforschung etabliert sich zunehmend die Auffassung, dass Grenzen komplexe Phänomene seien. Trotzdem erklären Grenzforschende kaum, was mit komplexen Grenzen oder Border Complexities gemeint ist. Die progressive Grenzforschung ist aber durchaus gut vereinbar mit dem Komplexitätsdenken. Der Text nähert sich diesem vielversprechenden Verhältnis und zeigt, was eine komplexitätsorientierte Grenzforschung sein kann.

Immer mehr Menschen in Europa pendeln täglich in ein Nachbarland an ihren Arbeitsplatz. Die wachsende Arbeitskräftemobilität lässt sich aber nicht nur ökonomisch erklären, sondern erfordert eine multiperspektivische Betrachtung. Diese wird in dem gerade erschienenen Buch anhand von Fallstudien in europäischen Grenzregionen umgesetzt. Deutlich wird, dass die Grenzgänger:innenbeschäftigung als Forschungsgegenstand ein großes Potential für grenzregionale Entwicklungsprozesse bietet.

Der nächste Vortrag in der Reihe Atelier Bordertextures beschäftigt sich mit solidarischen Initiativen nach dem langen Sommer der Migration mit Hilfe des Bordertexturen-Ansatzes. Auf Grundlage einer ethnographischen Untersuchung der Pariser Willkommenskultur rekonstruiert Lola Aubry den Zusammenhang zwischen Texturierungen von Grenzrealitäten und Willkommenspraktiken. Der öffentliche Vortrag am 16. November findet hybrid auf Englisch an der Universität Luxemburg und via Webex statt.

Die diesjährige Ausgabe der Castle Talks des Jean Monnet Center of Excellence beschäftigt sich mit Resilienz in Grenzregionen. Im Vortrag „Resiliences from below at the example of covidfencing” stellt C. Wille solidarische Praktiken von Grenzraumbewohner:innen während der Lockdowns an der luxemburgischen und polnischen Grenze vor. Die Veranstaltung vom 13.-15. November findet in Strasbourg im Château Pourtalès statt.

Das UniGR-Center for Border Studies organisiert am 9. und 10. November ein Forschungsseminar zur aktuellen Grenzforschung. Diskutiert werden Grenz(ziehung)en als Modi der Gegenwartskonstruktion aus geographischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive. Die mehrsprachige Veranstaltung findet an der Universität Lothringen statt und dient der Vernetzung von Grenzforscher:innen aus der Großregion und darüber hinaus.

Die vierte Ausgabe der Online-Reihe „Border Realities“ startet am 11. Oktober und beschäftigt sich mit Krisen aus Sicht der Grenzforschung. Die Vortragenden untersuchen den Einfluss von Krisen auf Grenzrealitäten und die Grenze als Momentum der Krise. Die öffentliche Reihe ist eine Kooperation des UniGR-Center for Border Studies (Universität Luxemburg) und des Centre for Border Region Studies (Süddänische Universität).

Vom 27. bis 30 September treffen sich die Mitglieder der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft e.V. in Saarbrücken zur 8. Jahrestagung. Die Veranstaltung steht unter dem Rahmenthema „Populäre Kulturen” und deckt mit 44 Panels das Spektrum kulturwissenschaftlicher Forschung im deutschsprachigen Raum ab. Dazu zählt auch das Panel der KWG-Sektion „Kulturwissenschaftliche Border Studies”, auf dem unter Leitung von A. Fellner und C. Wille in fünf Vorträgen populäre Grenzkulturen diskutiert werden.

Ulla Connor zeigt in ihrem jüngsten Buch, wie Grenzen als soziale Praxis untersucht werden können. Mit einem praxeologischen Ansatz erschließt die Soziologin komplexe Grenzpraktiken in der grenzüberschreitenden Kooperation und liefert eine dichte Beschreibung des Büroalltags von Verwaltungsmitarbeitenden. So macht sie nachvollziehbar, wie Grenzregionen entstehen. Im Gespräch mit C. Wille erklärt die Autorin, wie es zu der Untersuchung kam und welche Vorteile die Grenzpraxeologie bietet.

Anlässlich des 38. Jubiläums der Schengener Abkommen am 14. Juni 2023 hat Christian Wille mit Delano gesprochen. Er unterstreicht im Interview, dass die Personenfreizügigkeit im Schengen-Raum, an die „wir“ uns schon gewöhnt haben, keine Selbstverständlichkeit ist. Sie könne vielmehr als Privileg bezeichnet werden. Denn während Europäer:innen die Schengen-Grenzen in der Regel ungehindert passieren können, bleiben sie für viele Nicht-Europäer:innen unüberwindbare Grenzen.

Auch in diesem Jahr organisiert die grenzüberschreitende Doktorand:innenschule LOGOS ein mehrtägiges Kolloquium: Vom 6.-8. Juli kommen junge und etablierte Forschende aus der Großregion an der Universität Trier zusammen und diskutieren rund um das Rahmenthema „Begegnungen”. Außerdem nehmen die Promovierenden an Masterclasses teil, wie z.B. „Herausforderungen und Erfahrungen der interdisziplinären Zusammenarbeit am Beispiel der Grenzforschung” (C. Wille).

Die 59. Jahreskonferenz der Association de Science Régionale de Langue Française (ASRDLF) widmet sich dem Verhältnis von peripheren Räumen und aktuellen Krisen. Dafür versammelt die ASRDLF Wissenschaftler:innen aus aller Welt vom 28. bis 30. Juni an der Universität von La Réunion. Darunter auch I. Pigeron-Piroth und C. Wille, die am Beispiel der Großregion den Umgang mit Krisen und Resilienz in Grenzregionen diskutieren.

Das für den Deutschen Sachbuchpreis 2022 nominierte Buch „Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert” wurde soeben ins Französische übersetzt. Anlässlich der Veröffentlichung mit dem Titel „La réinvention de la frontière au XXIe siècle” organisiert das Goethe-Institut Paris am 15. Juni ein Rundtischgespräch mit dem Autor Steffen Mau. Zum Gespräch mit dem deutschen Soziologen eingeladen sind S. Grimm-Hamen (Universität Lothringen) und Christian Wille (Uni Luxemburg).

Die Cultural Border Studies sind aus der Verschneidung des cultural turns in den Border Studies mit dem border turn in den Cultural Studies entstanden. Sie beschäftigen sich mit sozialen und symbolischen Dimensionen von Grenzen auf alltagskultureller und künstlerisch-ästhetischer Ebene. Inwiefern das aufstrebende Wissenschaftsfeld als Teilgebiet der Border Studies bereits institutionell gefestigt ist, zeigt der systematisierende Überblick.

Über 250 Grenzforscher:innen aus aller Welt trafen sich vom 13.-18. Februar 2023 in Eilat (Israel) zur dritten Weltkonferenz der Association for Borderlands Studies (ABS). Darunter auch sechs Grenzforscher:innen der Arbeitsgruppe “Bordertextures”. Sie diskutierten in einem eigenen Panel mit dem internationalen Publikum, wie das Konzept “Bordertextures” in der kulturwissenschaftlichen Grenzforschung angewendet werden kann.

Die Grenzforschung beschäftigt sich vor allem mit Ereignissen der Gegenwart, historische Betrachtungen bilden noch die Ausnahme. Die Tagung „Frontières et sociétés frontalières au sein de l’espace franco-luxembourgeois du XVe siècle à nos jours” am 23. und 24. März will dieses Desiderat bearbeiten. Am Beispiel der luxemburgisch-französischen Grenze werden diachrone Perspektiven entwickelt und ihre Übertragbarkeit auf andere Grenzräume diskutiert. C. Wille füht mit dem Vortrag „Qu’est-ce qu’une frontière ? L’approche de (de)frontiérisation dans les Border Studies” in die Veranstaltung ein.

Der Band „Pandemisches Virus – nationales Handeln“ reflektiert drei Jahre nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie die Grenzschließungen in Europa. Die Autor:innen zeigen aus kultur-, raum- und rechtswissenschaftlicher Perspektive, wie die Grenzschließungen erlebt wurden und wie sie sich auf die europäische Idee auswirken. Im Gespräch mit C. Wille erklären die drei Herausgeber, wie der Band entstand und was sie dabei gelernt haben.

Die europäische Grenzraumforschung ist spätestens seit der Covid-19-Pandemie mit Phänomenen konfrontiert, mit denen sie sich bisher kaum auseinandergesetzt hat. Wie sie sich aber für die neuen Fragestellungen in Zeiten der Vergrenzungen aufstellen kann, skizziert C. Wille in seinem jüngsten Beitrag. Er schlägt eine Erweiterung der Forschungsagenda um alltagskulturelle Fragen und ein Überdenken des verwendeten Grenzbegriffs vor.

Grenzen stehen wieder verstärkt im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Ihr Wiedererstarken manifestiert sich allerdings in einer paradoxen Weise: Während Grenzmauern errichtet und Grenzanlagen ausgebaut werden, finden Regulations- und Kontrollpraktiken zunehmend transterritorial und unsichtbar statt. Diese Entwicklungen verweisen auf die Notwendigkeit, den Grenzbegriff zu überdenken. Dafür werden ausgewählte Zugänge überblicksartig vorgestellt.