Einblicke in den COVID-19 Lockdown

Ausgehend von der chinesischen Stadt Wuhan breitete sich seit Ende 2019 innerhalb weniger Wochen ein neuartiger Coronavirus über die Grenzen Asiens hinweg nach Europa und Nordamerika aus. Um das hochansteckende Virus einzudämmen, wurden ab Mitte März 2020 im Schengen-Raum wieder Grenzkontrollen eingeführt, Grenzen geschlossen und Kontakte zwischen Personen unterbunden.

Diese Maßnahmen vollzogen sich in knapp zwei Wochen, wodurch Grenzen binnen kürzester Zeit im politischen Handeln und im Alltag der Menschen (wieder) relevant wurden. Denn Grenzkontrollen und Grenzschließungen waren nicht nur als Instrumente einer Sicherheits- und Gesundheitspolitik (wieder-)entdeckt, ihre Auswirkungen reichten auch weit in verschiedene Gesellschaftsbereiche hinein. Dies war besonders in Grenzregionen spürbar, in denen sich Lebenswirklichkeiten grenzüberschreitend aufspannen. Aber auch jenseits territorialer Verortungen waren Grenzen erfahrbar, wenn sie zum Beispiel als Differenzierungsprozesse sozial wirksam wurden.

Die Multiplizität und Ubiquität, mit denen Grenzen im Zuge der COVID-19-Pandemie schlagartig an Bedeutung gewannen, sind Gegenstand des Themenhefts „Bordering in Pandemic Times. Insights into the COVID-19 Lockdown“. Darin beleuchten über 30 Autor*innen die Krisensituation im Frühjahr 2020 aus dem Blickwinkel von territorialen Grenzen, sozialen Grenzziehungen, (Dis)Kontinuitäten in Grenzregionen und geben facettenreiche Einblicke in und aus dem Lockdown. Die 18 Beiträge sind während der Grenzschließungen im April und Mai 2020 entstanden und stehen für kritische Beobachtungen, Reflexionen und wissenschaftliche Kommentierungen der damaligen Grenzpraktiken und Diskurse.

Die Autor*innen beleuchten Grenzpraktiken an mehreren europäischen Binnengrenzen (insbesondere an der deutsch-französischen Grenze) sowie an der US-mexikanischen Grenze, aber auch die Auswirkungen der Grenzschließungen in Jamaika oder in Flüchtlingslagern in Griechenland und Kenia. Thematisch reicht die Spannweite von Fragen des Grenzmanagements, Bürger*innenprotesten, grenzüberschreitender Kooperation über Erwerbsarbeit, Gesundheit, Ernährung, Sprache bis hin zu sozialer Ungleichheit, Migration, sozialem Zusammenhalt und Globalisierung.

“As contemporary documents, the contributions offer a collection of subjects and issues, which forms a basis for the research program "Borders and COVID-19" which is unavoidable and expected in Border Studies.” (S. 9)

Christian Wille und Rebekka Kanesu (Herausgeber*in)

Als Zeitdokumente bieten die mehrsprachigen Beiträge eine Sammlung von Themen und Problematiken, die mit Abstand systematisiert eine Grundlage bilden für das in der Grenzforschung unvermeidbare und erwartete Forschungsprogramm „Grenzen und COVID-19“. Das Themenheft leistet insofern einen Beitrag für ein zukünftiges Forschungsfeld der Grenzforschung.

Inhalt

Borders and COVID-19
Christian Wille and Rebekka Kanesu

Border(ing)s in Times of COVID-19
Christian Wille

Marché du travail transfrontalier : négocier avec les frontières à l’heure de la crise sanitaire COVID-19
Isabelle Pigeron-Piroth, Estelle Evrard et Rachid Belkacem

Fermeture des frontières nationales : récits en territoire transfrontalier
Beate Caesar, Nicolas Dorkel, Sylvain Marbehant, Hélène Rouchet et Greta Szendrei

Das Coronavirus und die Erosion von Gewissheiten
Florian Weber

La frontière franco-allemande au temps du COVID-19 : la fin d’un espace commun ?
Frédérique Berrod, Birte Wassenberg et Morgane Chovet

What has happened to our cross-border regions? Corona, Unfamiliarity and transnational borderlander activism in the Danish-German border region
Martin Klatt

The closure of the border as a b-solution. Non-coordination of measures at the Dutch, Belgian and German border
Martin Unfried

Chronicles of the Living Borders: shared urban space of Goricia (IT) and Nova Gorica (SLO)
Svetlana Buko

COVID-19 in the borderland of San Diego and Tijuana: between re-bordering processes and contradictory realities
Albert Roßmeier

La frontière « nationale » brouillée par le COVID-19
Grégory Hamez, Frédérique Morel-Doridat, Kheira Oudina, Marine Le Calvez, Mathias Boquet, Nicolas Dorkel, Nicolas Greiner et Sabrina de Pindray d’Ambelle

Corona – neue Herausforderungen und Perspektiven für Grenzraumpolitiken und grenzüberschreitende Governance
Nora Crossey

Einseitige Mehrsprachigkeit an der geschlossenen Grenze im Saar-Lor-Lux-Raum
Philipp Krämer

Linguistic rebordering: Constructing COVID-19 as an external threat
Eva Nossem

Reflections on a Boundless Critter in a Bordered World
Rebekka Kanesu

Those who are confined, are also the most mobile!
Anne-Laure Amilhat Szary

"What’s Home Gotta Do With It?" Reflections on Homing, Bordering, and Social Distancing in COVID-19 Times
Astrid M. Fellner

Geflüchtetenunterkünfte und Lager als Grenzparadigma: Lebenswirklichkeiten in Zeiten der Corona-Pandemie
Claudia Böhme und Anett Schmitz

Coronavirus, Social Boundaries and Food Security: Observations in Jamaica
Lisa Johnson

Funk/Wille (2022): Stresstest für die Jugendmobilität im Grenzraum. Grenzüberschreitende Berufsausbildung und Studium während der Pandemie – Erfahrungen und Perspektiven. Panorama. Deutsch-französische und europäische Analysen 2. mehr Info
Wille (2021): The return of borders. Ein Kommentar zur Grenzraumforschung in Zeiten der Vergrenzungen. Weber/Theis/Terrollion (Hg.): Grenzerfahrungen | Expériences transfrontalières. Springer VS, 379-390. mehr Info
Wille/Kanesu (Hg.) (2020): Bordering in Pandemic Times. Insights into the COVID-19 Lockdown (thematic issue). Borders in Perspective 4. mehr Info
Wille/Weber (2020): Analyzing border geographies in times of COVID-19. In: Mein/Pause (Hg.): Self and Society in the Corona Crisis. Perspectives from the Humanities and Social Sciences. Melusina Press. mehr Info