Cultural Border Studies – Zur Institutionalisierung eines aufstrebenden Forschungsfelds

Die Cultural Border Studies adressieren Fragen der Grenze auf alltagskultureller und künstlerisch-ästhetischer Ebene. Im Zuge der allgemeinen Renaissance von Grenzen haben sie weiter an Bedeutung gewonnen, was sich in der fortschreitenden Institutionalisierung der Cultural Border Studies zeigt.

Fachgesellschaften

Die wichtigste Fachgesellschaft für Border Studies ist die Association for Borderlands Studies, die 1976 in den USA gegründet zunächst Grenzforschende versammelte, die zur US-mexikanischen Grenze arbeiteten. Im Zuge der Entwicklung der Border Studies schlossen sich Grenzforschende aus allen Teilen der Welt der Fachgesellschaft an. Heute organisiert die Association for Borderlands Studies regelmäßig eine Jahrestagung in Nordamerika und eine Weltkonferenz, die alle vier Jahre stattfindet. Die Weltkonferenz im Jahr 2023 wurde von der Ben-Gurion University im Dreiländereck Israel – Jordanien – Ägypten ausgerichtet. Die Jahrestagungen und Weltkonferenzen der Fachgesellschaft listen in ihren Programmen zunehmend kulturwissenschaftliche Vorträge und Panels und haben sich als zentrale Plattformen für die globale Gemeinschaft der Grenzforschenden etabliert.

Im Gegensatz zur Association for Borderlands Studies ist die Kulturwissenschaftliche Gesellschaft e.V., die als Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum eine wichtige Rolle für die Cultural Border Studies spielt, in Sektionen organisiert. Diese stehen für thematische Arbeitsgruppen, darunter auch die Sektion „Kulturwissenschaftliche Border Studies“, die seit 2016 besteht. Sie wurde auf Initiative von Grenzforschenden der Universität Luxemburg, Universität des Saarlandes und Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) mit dem Ziel gegründet, kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Herangehensweisen innerhalb der Border Studies gezielt zu entwickeln und als Arbeitsfeld zu etablieren. Die Sektionsmitglieder treffen sich regelmäßig, kooperieren in Forschungs- und Publikationsprojekten und beteiligen sich an den Jahrestagungen der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft e.V. Im Jahr 2020 fand in Zusammenarbeit mit der Sektion die Jahrestagung „B/Ordering Cultures: Alltag, Politik, Ästhetik“ (8.-10. Oktober) an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) statt.

Forschungszentren und Netzwerke

Hinsichtlich der Forschungszentren und Netzwerke der Border Studies sind die ersten Gründungen im US-mexikanischen Kontext auszumachen (z.B. Center for Latin American and Border Studies (1979), Colegio de la Frontera Norte (1982)), gefolgt von Zentren in Europa in den 1990er Jahren (z.B. Centre for Border Research (1989), Nijmengen Center for Border Research (1998)). Ab der Jahrtausendwende sind vor allem in Europa vermehrt Neugründungen zu beobachten (z.B. Institut des Frontières et Discontinuités (2006), Centre for Border Region Studies (2016)), begleitet von diversen räumlichen Schwerpunktsetzungen (z.B. African Borderlands Research Network (2007), Asian Borderlands Research Network (2008), VERA Centre for Russian and Border Studies (2011)).

Im deutschsprachigen Raum stechen zwei Forschungszentren heraus, die eine dezidiert kulturwissenschaftliche Orientierung aufweisen. Dazu zählt das Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION, das 2013 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) als Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung ins Leben gerufen wurde. Die beteiligten Wissenschaftler:innen der Europa-Universität Viadrina und anderer Universitäten untersuchen dort Grenzziehungs-, Ordnungs- und Migrationsprozesse im interdisziplinären Verbund. Zuletzt haben sie die Konferenzen „Contesting 21st Century B/Orders” (6.-8.9.2023) sowie „B/ORDERS IN MOTION: Current Challenges and Future Perspectives“ (15.-17.11.2018) durchgeführt.

Daneben ist das UniGR-Center for Border Studies zu erwähnen, das 2014 als grenzüberschreitendes Forschungsnetzwerk gegründet und 2022 in ein interdisziplinäres UniGR-Kompetenzzentrum überführt wurde. Dazu zählen die Grenzwissenschaftler:innen des Verbunds „Universität der Großregion (UniGR)“, das heißt der Universität des Saarlandes, Universität Trier, Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (Deutschland), Universität Lothringen (Frankreich), Universität Luxemburg (Luxemburg) und der Universität Lüttich (Belgien). Ihre Arbeitsschwerpunkte reichen von den Cross-Border Studies (z.B. Arbeitsmarkt und Raumplanung in Grenzregionen) über Cultural Border Studies (z.B. Kultur, Sprache, Identitäten) bis hin zu theoretisch-konzeptionellen Fragen der Grenzforschung.

Die kulturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftler:innen des UniGR-Center for Border Studies sind in der Arbeitsgruppe „Bordertextures“ organisiert und erproben einen Ansatz, der Grenzen als ein dynamisches und wirkmächtiges Gefüge fasst. Zuletzt hat das UniGR-Center for Border Studies die internationale Konferenz „Border Renaissance. Recent Developments in Territorial, Cultural and Linguistic Border Studies“ (4.-5.2.2022) und die Europa-Konferenz der Association for Borderlands Studies „Differences and Discontinuities in a ‚Europe without Borders‘“ (04.–07.10.2016) ausgerichtet.

Publikationsmedien

Als einschlägiges Publikationsmedium der Border Studies gilt das Journal of Borderlands Studies, das 1986 in den USA ins Leben gerufen wurde. Nachdem dort überwiegend Ergebnisse der Geopolitical Border Studies publiziert wurden, hat sich die Fachzeitschrift heute auch für kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ansätze geöffnet. Daneben besteht seit 2019 die Open Access-Fachzeitschrift Borders in Globalization Review, die an der University of Victoria, British Columbia im Rahmen des Forschungsprogramms „Borders in Globalization“ eingerichtet wurde und kunst-, kultur- sowie sozialwissenschaftliche Grenzforschung adressiert.

Außerdem haben sich verschiedene Buchreihen etabliert, die über geopolitische Betrachtungen hinausgehen zugunsten kulturwissenschaftlicher Betrachtungen. Dazu zählt die Reihe Routledge Borderlands Studies (hrsg. von James W. Scott und Ilkka Liikanen), die Arbeiten zu grenzüberschreitenden Verflechtungen, Alltagskulturen u.v.m. in Grenzregionen in Nordamerika und Europa, aber auch in Afrika, Asien und Lateinamerika publiziert. Die Reihe Rethinking Borders (hrsg. von Sarah Green und Hastings Donnan) wurde im Zuge des Projekts EastBordNet – Remaking Borders in Eastern Europe (COST 2009-2013) eingerichtet, wird heute von der Manchester University Press herausgegeben und bietet eine Plattform für vorzugsweise ethnografische Forschung, die sich mit dem alltagskulturellen Erleben von Grenzen und Mobilitäten auseinandersetzt.

Im deutschsprachigen Raum hat sich die Buchreihe „Border Studies. Cultures, Spaces, Orders“ (hrsg. von Astrid M. Fellner, Konstanze Jungbluth, Hannes Krämer, Christian Wille) als Forum für Cultural Border Studies etabliert. Sie erscheint auf Deutsch oder Englisch im Nomos-Verlag und umfasst kulturwissenschaftliche Analysen von Grenzen aus literatur- und sprachwissenschaftlicher, soziologischer oder sozialanthropologischer Perspektive.

Auch wenn die Border Studies als interdisziplinäres Arbeitsfeld keinen abgesteckten Kanon an Theorien und Ansätzen aufweisen, sind verschiedene Einführungswerke erschienen. Dazu zählen The Ashgate Research Companion to Border Studies (Wastl-Walter 2011) oder Introduction to Border Studies (Sevastianov et al. 2015), die vor allem die Geopolitical Border Studies adressieren. Kulturwissenschaftliche Orientierungen finden eher Berücksichtigung in A Companion to Border Studies (Wilson und Donnan 2012) oder A Research Agenda for Border Studies (Scott 2020), die jeweils alltagskulturelle Dimensionen von Grenzen einschließen. Mit dem Handbuch Grenzforschung. Handbuch für Wissenschaft und Studium (Gerst et al. 2021) ist im deutschsprachigen Raum die derzeit jüngste Einführung mit kulturwissenschaftlichen Schwerpunkten erschienen.

Fellner, Astrid M. / Wille, Christian (2025): Cultural Border Studies. In: Nesselhauf, Jonas / Weber, Florian (Hg.): Handbuch Kulturwissenschaftliche "Studies". Berlin, de Gruyter, 47-67. mehr Info
Wille (2021): Vom processual shift zum complexity shift: aktuelle analytische Trends der Grenzforschung. In: Gerst/Klessmann/Krämer (Hg.): Grenzforschung. Handbuch für Wissenschaft und Studium. Nomos, 106-120. mehr Info
Wille/Gerst/Krämer (Hg.) (2021): Identities and Methodologies of Border Studies: Recent Empirical and Conceptual Approaches. Borders in Perspective 6. mehr Info
Wille/Kanesu (Hg.) (2020): Bordering in Pandemic Times. Insights into the COVID-19 Lockdown (thematic issue). Borders in Perspective 4. mehr Info