Werk und Rezeption von Michel Majerus
Herr Dell, in Ihrem Buch arbeiten Sie das Werk von Michel Majerus auf. Was hat Sie an dem Künstler fasziniert?
Beeindruckt im Werk von Michel Majerus hat mich die gelungene Wiederspiegelung des damaligen Zeitgeists mittels bestimmter ikonischer und textlicher Zeichen. Dadurch entstanden Statements, die rein vordergründig die Spaßgesellschaft feierten. Die Aussagen stellten mit Bild und Text aber auch oft das infrage, was auf den Werken thematisiert wurde. Dieser Spagat – gekonnt Ambivalenz auf seinen Bildern herzustellen und die darin verwebte zeichenhafte Aufarbeitung von Stilrichtungen der jüngeren Kunstgeschichte – hat mich in seiner gezielten Verbindung mit postmodernen Positionen, die nihilistisch jegliche künstlerische Absichten ablehnten, besonders fasziniert. Ich glaube, dass Michel Majerus gerade mit dieser Vorgehensweise einzigartig war.
In Ihrem Buch untersuchen Sie Majerus vor allem im Spiegel von Rezensionen. Warum haben Sie den Weg über den Diskurs zum Werk eingeschlagen?
Eine Interpretation des Werks von Michel Majerus kann man nicht komplett neu erfinden. Ich konnte auch nicht so tun, als wären bereits bestehende diskursorientierte Aussagen aus der eignen Feder geflossen, indem ich sie in eigenen Worten neu formuliert hätte. Was mich interessierte, war die Aussagen als Zitate inhaltsorientiert und schwerpunktmäßig zusammenzubringen und von dort aus neue diskursspezifische Perspektiven zu entwickeln.
Kunstrezensenten sprechen von einem Ausnahmekünstler der Jahrtausendwende. Welche Bedeutung hat Michel Majerus für seine Zeit?
In den 1990er Jahren, als die Neuen Medien aufkamen und die Malerei für tot erklärt wurde, gab Majerus durch eine komplementäre Assoziation gerade dieser Hightech-Medien mit klassischer Malerei dem malerischen Ausdruck einen neuen entscheidenden Impuls. So gelang es ihm, nachfolgende Künstler konstruktiv zu beeinflussen. Die Beantwortung der ersten Frage zeigt ebenfalls, warum der Diskurs von Michel Majerus für die damalige Zeit beispiellos war.
Michel Majerus war Kosmopolit und seine Werke hängen weltweit in Galerien. Welchen Bezug hatte der Künstler zu Luxemburg und wie wurde er dort wahrgenommen?
Seine ersten künstlerischen Grundlagen erwarb Michel Majerus in der Kunstsektion des Gymnasiums in Esch. Er war sich aber bewusst, dass man nur von einer weltweit anerkannten Kunstmetropole aus international Karriere machen kann. Darum lebte und arbeitete er in Berlin. Bei internationalen Ausstellungen gab er seinen Geburtsort Esch ohne Land an und firmierte so oft als Berliner Künstler. Majerus glaubte, dass die internationale Kunstszene ihn als Exoten und Eintagsfliege wahrnehmen würde, wenn er Luxemburg als Heimatland angibt. Vor der Ausstellung „Manifesta 2“ (1998) in Luxemburg war Majerus nur wenigen einheimischen Kennern der internationalen Kunstszene bekannt. Die große monografische Ausstellung „Michel Majerus“ (2007) im MUDAM steigerte seinen Bekanntheitsgrad in Luxemburg wesentlich. Aber im Gegensatz zu verschiedenen eingesessenen Künstlern wurde meiner Meinung nach Majerus den Einwohnern Luxemburgs nie wirklich ein Begriff. Vom Publikum in Luxemburg, das ihn nicht kennt, wird er oft als Micky-Maus-Maler bezeichnet. Seine großformatigen Bilder mit Jugend- und Kindercomics werden vordergründig oft als Werke betrachtet, die sich an Kinder richten. Die Heterogenität seines Werkes verwirrt: Es gibt bei Majerus kein Stil als Markenzeichen, das dem konservativen Museumsbesucher eine Orientierung gibt. Seine Malereien sind keine „geschmäcklerisch ästhetisch gefälligen“ Bilder, die ein breites Laienpublikum begeistern können. Andrerseits feierten ihn die Luxemburger Kunstrezensenten in zahlreichen Artikeln in der Lokalpresse.
Für Ihre Forschungen haben Sie Wegbegleiter und seine Eltern getroffen. Konnten Sie Michel Majerus so auch „als Mensch“ kennenlernen?
Auch Quellen wie Eltern, Freunde und Wegbegleiter sind für mich Zeugnisse zweiten Grades und unterliegen einer Subjektivität, die manchmal mit einer wohlwollenden Legendenbildung einhergeht. Eine Quelle ersten Grades wäre gewesen, wenn ich Michel Majerus selber länger gekannt hätte. In einem ausgedehnten Interview, noch zu seinen Lebzeiten, hätte ich ihn auch nicht wirklich als Mensch kennengelernt. Denn Künstler sind immer auch Selbstdarsteller. Der Mensch Michel Majerus kommt in meinen Augen am besten in den Aussagen von ihm nahestehenden Personen zum Vorschein. Aber auch neutrale Berichte von seinen Bekannten, die keine Stellung zu dem mit Majerus gemeinsam Erlebten bezogen, nutzte ich als authentische Quellen. Besonders die spontanen Mails, die Michel Majerus an seinen langjährigen Assistenten Bastian Krondorfer schickte, enthielten viel Aufschlussreiches über den Künstler als Menschen. In diesem Sinne habe ich auch einige menschliche Seiten von Michel Majerus kennengelernt und im Buch aufgearbeitet.
Biographische Notiz
Paul Dell hat Kunst an der Universität Strasbourg studiert und war bis zu seinem Ruhestand Hauptdozent und Forscher für visuelle Kunst an der Universität Luxemburg sowie Professor für Kunst des luxemburgischen Unterrichtsministeriums.