Die Großregion als Kulturgemeinschaft

Sie haben gerade ein Buch über die Großregion als Kulturgemeinschaft veröffentlicht. Skeptiker würden sagen, Kultur und Europa sind im Moment keine Zukunftsthemen.

Kultur und Europa sind durchaus Zukunftsthemen. Oder anders gesagt: Ohne Europa und Kultur keine Zukunft. Da ist es vielleicht ganz gut, sich das schon lange vergriffene Buch von Robert Schuman, „Pour l’Europe“ / „Für Europa“ (1963), vorzunehmen. Es ist genau 30 Jahre nach den Bücherverbrennungen entstanden: 1933 wurden die Bücher von Stefan Zweig verbrannt, der in seinen „Erinnerungen eines Europäers“ einen Begriff verwendet, der auch bei Robert Schuman wichtig ist, nämlich den der „Kulturgemeinschaft“. Robert Schuman gehörte zu jenen, die die „communauté culturelle“ Europas über die politische und die militärische Allianz gesetzt haben. Und zu unseren Aufgaben gehört es, Schuman, Zweig und die zahlreichen anderen, die sich für Europa eingesetzt haben, wieder ernst zu nehmen. Das Buch „Au Centre de l’Europe – Im Reich der Mitte 2“ ist ein solcher Versuch – es ist ein Gemeinschaftswerk für Europa. Es geht auf eine private Initiative zurück und entstand „sur place“ – in der Großregion. Es baut auf ein erstes Buch auf, das im Rahmen des  Kulturhauptstadtjahres 2007 „Luxemburg und Großregion“ erschienen ist und schnell vergriffen war. Beim aktuellen Buch handelt es sich um eine bibliophile, limitierte Auflage und Gegenstand ist die Großregion als Kulturlandschaft, mehr noch: als europäische Kulturgemeinschaft.

Eva Mendgen (Hg.) (2013): Au Centre de l’Europe – Im Reich der Mitte 2. Des liens et des lieux / Kulturgemeinschaft Großregion – Grande Région. Konstanz, Hartung-Gorre Verlag. mehr Info

Die Bücher über die Großregion sind zwar überschaubar, trotzdem können sie schon Regale füllen. Warum kommt jetzt noch Ihr Buch dazu?

Die vorhandenen Bücher sind meistens Produktionen von Universitäten und Institutionen mit kleinen Zielgruppen. Sie dienen oft als Leistungsnachweise, um EU-Fördermittel zu legitimieren oder wissenschaftliche Projekte abzuschließen. Sie erfahren normalerweise kaum Verbreitung und das ist auch nicht ihr primäres Ziel. Diese durchaus wichtigen Publikationen haben nicht die Aufgabe, die Großregion inwertzusetzen oder gar Gesamtvisionen, Perspektiven aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Lebenswelten zu verbinden. Hier setzt das Buch „Au Centre de l’Europe – Im Reich der Mitte 2“ an. Es bietet Eindrücke aus unterschiedlichen Lebenswelten und Disziplinen, Texte, aber auch eigens gefertigte Fotografien, die mit zwei passionierten Profifotografen auf Reisen durch die Großregion entstanden sind. Das Buch ist als eine Reise zu den Anfängen der europäischen Idee aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu verstehen. Die Artikel stammen von „Grenzgängern“ und „Multitalenten“, deren Tätigkeit zwischen alle Genres fällt und die aus meiner Sicht das eigentliche, noch zu entdeckende Potenzial dieser europäischen Vierländer-Grenzregion bilden.

Sie selbst sind schon viel gereist und kommen nicht aus der Großregion. Wie kamen Sie auf die Idee, ein so vielschichtiges Thema zu bearbeiten und was hat es mit dem Titel auf sich?

Weil ich hier lebe. Weil ich Kunstgeschichte, Vergleichende Religionswissenschaften und Alte Geschichte studiert habe, weil ich meine sorgfältig erarbeiteten Inhalte immer auch vermitteln wollte und weil ich erleben möchte, ob sie tragen, ob sie zu etwas führen. Das kann man in diesem Vierländereck ganz gut tun. Hier lebt jeder von uns mitten in Europa und kann Seins dazutun. Es ist doch ganz leicht, man setzt sich in Bewegung, man erfährt die Region, es macht Spaß und Lust darauf, mehr zu erleben. Ein bisschen wie Karl der Große, der bei Lüttich geboren wurde und dessen dezentral organisiertes Reich ihn auf Trab hielt. Die heutige Großregion ist in etwa das Kernland des Karolingischen Reiches – die Mitte des „Middle Kingdoms“ seiner Nachfahren. Robert Schuman wurde ebenfalls in dieser „Mitte“ geboren. Und für die heutigen „Ureinwohner“ der Großregion ist ihr Lebensmittelpunkt die Mitte des Universums. Bei dem Titel „Au Centre de l’Europe – Im Reich der Mitte 2“ werden alle zu Komplizen – zumindest die Deutschsprachigen, während sich die Frankophonen mit dem etwas ernsthafteren „au centre“ begnügen müssen.

Für das Buch haben Sie mit Autoren, Übersetzern und Fotografen eng zusammengearbeitet. Würden Sie diesen Aufwand noch einmal betreiben?

Ja, jederzeit, wenn alle 100 Beteiligten und noch mehr wieder mitmachen. An dem Projekt haben – zu einem großen Teil ehrenamtlich – Geistes- und Naturwissenschaftler, Journalisten, Architekten und Studierende generationenübergreifend mitgewirkt. Die Mehrzahl unter ihnen definiert sich als „Grenzgänger“ zwischen den Kulturen. Allen gemeinsam war das Anliegen, etwas für Europa zu tun, ganz persönlich, ganz subjektiv – und dieses auch nach außen sichtbar zu machen. Jeder einzelne Beitrag lässt „die“ „Großregion“ – und damit Europa – realer, vollständiger, vielseitiger erscheinen mit all den Orten, den Menschen und den geknüpften Beziehungen. Über die Zeit hinweg ist so etwas wie eine europäische Bürgerinitiative entstanden, von Menschen, für die die Bereicherung im Austausch selbst liegt, also ohne kommerzielle Interessen, aus der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft.

Sie haben das Kulturnetzwerk Regiofactum ins Leben gerufen, Sie sind auch als Kunsthistorikerin grenzüberschreitend aktiv. Haben Sie schon Pläne für neue Projekte?

Ich werde immer wieder gebeten, Regiofactum zu institutionalisieren. Es gibt aber schon viele Strukturen. Man muss sich da etwas Neues überlegen. Auch ein anderer Begriff als der des „Netzwerks“ wäre besser, wie zum Beispiel der der vielleicht weniger abgenutzten „Kulturgemeinschaft“. Denn das Buch hat es gezeigt: Es hat Menschen zusammengebracht, die Neues gewagt und eine gemeinsame Sprache gefunden haben. Das Buch ist aber auch als ein „kreativ-wirtschaftliches“ Experiment zu verstehen – vielleicht passt ein nächstes ja in die kommende EU-Interreg-Förderperiode? Das Buch hat die Ressourcen vor Ort gehoben und die grenzüberschreitenden Produktions- und Verbreitungsbedingungen von „Kultur“ auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis dieses Experiments kann sich sicher sehen lassen, die Durchführung war umso aufschlussreicher. Denn die Zusammenarbeit mit Verlagen, Druckereien, Grafikern, Übersetzern ist über Grenzen hinweg nicht immer einfach. Oft weiß man auch gar nicht, welche guten Leute in der Nachbarregion arbeiten. Am leichtesten ist es noch, Texte zu rekrutieren. Aber dann? Denn diese Texte wollen aufbereitet und übersetzt werden im Sinne einer Übertragung, in der die Nuancen rübergebracht werden – das sollte gerade hier, in dieser multikulturellen Region „zwischen den Ländern“, ein zentrales Anliegen sein. Ist es aber nicht. Entsprechende Ressourcen aufzuspüren und grenzüberschreitend zusammenzubringen – auch bei der Produktion und Verbreitung – ist mühsam und nur möglich, wenn man in längeren Zeiträumen plant. Aber es könnte in mehrfacher Hinsicht lohnend sein. Dabei könnte die Kulturgemeinschaft Großregion mit ihren europaerfahrenen Bewohnern ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen.

Biographische Notiz

Dr. Eva Mendgen ist Kunsthistorikerin, Publizistin und Ausstellungsmacherin und arbeitet über Rahmungskonzepte, Industriekultur, Jugendstil, Expressionismus sowie Kunst und Medizin. Sie hat Kunstgeschichte, Alte Geschichte, Amerikanistik und Vergleichende Religionswissenschaften studiert und an der ENSA Nancy, University of California, HBKsaar, Universität des Saarlandes und Bauhausuniversität Weimar gelehrt. Eva Mendgen ist Gründerin des Kulturnetzwerks der Großregion regiofactum.

Kontakt

info(at)regiofactum.com